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Wie "News Avoidance" in Krisenzeiten um sich greift.
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Viele Menschen empfinden die aktuelle Flut von schlechten Nachrichten als Belastung und wenden sich ab. Warum das Phänomen „News Avoidance“ auch zum Problem für die Demokratie werden kann und welche medialen Strategien dagegen helfen.

 

„Only bad news are good news“ lautet ein bekannter Spruch. Damit ist gemeint, dass negativ konnotierte Sensationsmeldungen viel Aufmerksamkeit erhalten und somit Zeitungsauflagen steigern beziehungsweise Einschaltquoten erhöhen. Doch im Zusammenhang mit „Bad News“ lässt mittlerweile auch ein ganz anderes Phänomen in der Branche die Alarmglocken schrillen. Es nennt sich „News Avoidance“, zu Deutsch: Nachrichtenvermeidung.

Rund drei Viertel der Österreicherinnen und Österreicher versuchen wenigstens hin und wieder, sich aktiv von aktuellen Nachrichten fernzuhalten. Das geht aus dem „Digital News Report 2022“ hervor, der weltweit größten fortlaufenden Studie zum Medienkonsum. In Österreich gaben 36,7 Prozent der Befragten an, Nachrichten „gelegentlich“ zu vermeiden, 25,4 Prozent tun dies „manchmal“, 13,5 Prozent „oft“. Gefragt nach den Gründen für dieses Verhalten, gaben 53,4 Prozent der Befragten an, dass Nachrichtenmedien zu viel über Politik und die Covid-19-Pandemie berichten würden. 40,3 Prozent meinten, dass Medieninhalte negative Auswirkungen auf ihre Stimmung hätten.

Ein Gefühl der Überlastung könne sich insbesondere dann einstellen, wenn Menschen von Berichterstattung über negative Ereignisse direkt in ihrem Lebensumfeld betroffen seien, sagt Svenja Schäfer, Postdoktorandin in der Political Communication Research Group der Universität Wien. „Während der Pandemie hatten wir die Situation, dass im Alltag der Menschen und in den Nachrichten dasselbe Thema dominiert hat. Im Nachrichtennutzungsverhalten hat man da zwei Trends gesehen: Gerade am Anfang, als man noch nicht so viel über das Virus wusste und sich durch den ersten Lockdown auch die privaten Umstände völlig verändert haben, ist der Nachrichtenkonsum gestiegen. Die Leute hatten das Bedürfnis zu wissen, was los ist. Gleichzeitig haben die vielen Berichte über Covid-19 zu einem Überforderungsgefühl beigetragen, was wiederum zur Nachrichtenvermeidung geführt hat. Es gab also ein Wechselspiel von sehr intensiver Nachrichtennutzung und aktiv eingelegten Pausen. Das war ein gängiges Muster, sehr spezifisch für die Pandemie.“

Dass immer mehr Menschen bewusst auf den Konsum von Nachrichten verzichten, beschäftigt die Wissenschaft schon länger. Man müsse dabei zwischen verschiedenen Arten der „News Avoidance“ unterscheiden, betont Schäfer. Gerade Personen, die Medien generell sehr intensiv nutzen, würden dann und wann eine Pause einlegen oder zu bestimmten Tageszeiten „abschalten“. Und: „Der Teil der Bevölkerung, der überhaupt keine Nachrichten mehr konsumiert, ist sehr, sehr klein.“

„Personen, die Medien sehr intensiv nutzen, legen dann und wann eine Pause ein oder schalten zu bestimmten Tageszeiten ab.“

Die Klientel pflegen

Problematisch ist das Phänomen dennoch, zumal vor allem die junge Generation mit herkömmlichen Nachrichtenformaten immer schwerer erreichbar ist. Medien- und Verlagshäuser benötigen für ihre Angebote aber eine Klientel – und eine funktionierende Demokratie erfordert „aufgeklärte, informierte und engagierte Bürger“, wie die deutsche Journalistin und Medienforscherin Alexandra Borchardt unlängst in ihrem Blog schrieb.

Was also tun? Die Weltlage bietet wenig Erfreuliches, man denke nur an den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen auf den globalen Energiemarkt – auch das ein Thema, das bis in den Alltag der Menschen hineinwirkt. „Dass es in Krisenzeiten zu einem höheren Nachrichtenvermeidungsverhalten kommt und der Eindruck gestärkt wird, dass die Nachrichten vornehmlich negativ seien, wird sich nicht verhindern lassen“, räumt Svenja Schäfer ein. Doch es gebe mediale Strategien dagegen. Das habe sich auch in einem Online-Experiment gezeigt, das die Forscherin gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an der Uni Wien durchgeführt hat: „Wir wollten vor dem Hintergrund dieses Überlastungsgefühls wissen, ob konstruktiver Journalismus einen Beitrag leisten kann, dieses zu mindern."

 

Perspektiven verändern

Erprobt wurde das mit Artikeln zu zwei Krisenthemen, verfasst in jeweils zwei Versionen. Eine davon behandelte das jeweilige Thema mit Fokus auf die Problemstellung sowie negative Auswirkungen, die andere versuchte auch Lösungswege aufzuzeigen. Ergebnis: „Man hat gesehen, dass die Reaktionen auf die konstruktiven Artikel positiver waren, dass sich die Leute besser gefühlt haben und sogar die Qualität des Artikels besser bewertet haben“, sagt Schäfer. Sie betont aber auch: „Das Prinzip von konstruktivem Journalismus ist nicht, Themen auszuklammern, die unangenehm sind, sondern die Perspektive auf eine Krisensituation zu verändern.“ Mit der täglichen Berichterstattung über aktuelle Ereignisse kommen Medien ihrem Informationsauftrag und damit auch ihrer Funktion in der Demokratie nach. „Hierbei spielt Negativität zwangsläufig eine große Rolle, da muss etwa auf Skandale aufmerksam gemacht werden, das ist auch wichtig. Aber ich sehe viel Potenzial in Sendungen, die außerhalb der Primetime-Nachrichten laufen.“ Denn da gebe es viel mehr Spielraum, unterschiedliche Blickwinkel zu beleuchten. Trotzdem ortet Schäfer auch in solchen Formaten „eine sehr starke Negativitätsverzerrung“ und wenig Versuche, lösungsorientierte Perspektiven zu präsentieren.

Ungehört bleiben die Prinzipien des konstruktiven Journalismus aber keineswegs: In Deutschland wurde mit „Perspective Daily“ im Jahr 2016 ein Online-Magazin gegründet, das neben Fakten auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigt, Instagram-Accounts wie goodnews.eu legen den Fokus auf positive Nachrichten und der österreichische Journalist Andreas Sator zielt mit seinen Podcasts „Erklär mir die Welt“ und „Sonne & Stahl“ auf konstruktive und nüchterne Wissensvermittlung ab.

Auch Massenmedien setzen in eigenen Video-Formaten, in Blogs, auf Social-Media-Kanälen sowie unter speziellen Hashtags, wie #lösungsfinder der deutschen Tagesschau, auf eine umfassende Darstellung von Hintergründen und stellen mögliche Lösungsansätze ins Zentrum ihrer Berichterstattung, gepaart mit unterhaltenden Elementen. Viele dieser Formate würden „eine sehr spezifische Zielgruppe adressieren“, sagt Svenja Schäfer und meint damit vor allem ein junges Publikum. Derartige Angebote ließen sich aber auch noch stärker in der breiten Bevölkerung etablieren, indem sie etwa auch in Fernsehformate integriert würden, so die Forscherin.